Angekommen in der Lagune von Faro

Der starke Wind kommt mit 6 Bft genau von vorne. Die 27 sm von Ayamonte bis in die Lagune von Faro sind deshalb nicht in dem geplanten Zeitfenster zu schaffen. Die Barra Nova (Sandbank) an der Haupteinfahrt zur Lagune kann nur bei einlaufendem Tidenstrom passiert werden, und so gibt es ungewollt eine weitere Nacht auf See.

Das war schon merkwürdig: erst ging es nicht schnell genug, auch mit dem Motor kommen wir nicht gegen die hohe Dünung an. Er stampfte sich sofort fest. Und dann, in der Nacht, versuchten wir möglichst langsam zu segeln, um am Morgen nicht zu früh, sondern zur richtigen Zeit einlaufen zu können. Es hat dann aber alles super geklappt. Die Nacht war sternenklar, der Sonnenaufgang auf See großartig und letztlich war das sehr sportliches Segeln: „Hart am Wind“ mit entsprechender Schräglage, ein schöner Törn-Abschluss.

Bei unserem Ankerplatz hat sich die Natur etwas ganz Neues einfallen lassen: Hinter einer Kette schmaler Sandinseln befindet sich eine Lagune. Sie ist etwa 30 sm lang und 1 bis 5 sm breit. In der Lagune liegen die Häfen Faro und Olhão, zahlreiche befahrbare Kanäle, außerdem viele kleinere Inseln.

Die Lagune von Faro ist sehr speziell. Sie ähnelt den Wattengewässern hinter den ostfriesischen Inseln, ist aber viel reicher an südländisch-strotzendem Leben. Sie ist ein Gezeitengewässer, deshalb liegt bei Niedrigwasser der größte Teil trocken. Bei so manchem Ankerplatz könnte man dann meinen, die Passat würde in einer Pfütze ankern.

Um an Land zu kommen, müssen wir nicht schwimmen, sondern benutzen das Beiboot. Es ist so alt wie die Passat, also 22 Jahre, und noch immer top (bin ganz stolz deswegen). Und auch der kleine Außenborder stammt nicht aus der Familie der „Seekuh“. Habt Ihr davon gehört? John Steinbeck berichtet davon in seinem „Logbuch des Lebens“:

Und wir erkannten: wenn diese dämonischen kleinen Motoren erst den Geschlechtsverkehr und die Fortpflanzung lernen, ist es aus mit der Menschheit. Denn ihr Haß auf uns ist so groß, daß sie so lange warten, planen, organisieren und sich vermehren werden, bis sie uns in einer Schreckensnacht unter Geheul, Geschrei, Gepfeife, Gezisch von der Bildfläche fegen.

Den kompletten, sehr witzigen Abschnitt über seine Erfahrungen mit einem Außenborder gibt es hier.

Umwege erhöhen die Ortskenntnis

Der Atlantik zeigte sich bisher von einer sehr sympathischen Seite mit gutem und nicht zu starkem Wind. Auch die Welle war mäßig und sehr angenehm, abgesehen vom ersten Abschnitt, der noch im Einfluss der Straße von Gibraltar ziemliche Anforderungen stellte.

Weniger schön ist auf der Fahrt nach Ayamonte, dass etwa jede halbe Stunde unser UKW-Telefon klingelt. Die Küstenfunkstelle kündigt abwechselnd Sturm für das Seegebiet Cádiz an und gibt eine PAN PAN Notmeldung durch. Alle Schiffe („All ships, all ships …“) sollen nach einem manövrierunfähigen Boot mit acht Personen an Bord Ausschau halten. Zu diesem Zeitpunkt liegt die Einfahrt in den Rio Guadiana vor uns. Diese Ansteuerung ist nicht ganz einfach. Vor Flusseinfahrten gibt es im Atlantik meist eine Sandbank, also eine Ablagerung von Sand oder Kies am Grund, gebildet durch die Tide und Strömung.

Bei Wind gegen Tidenstrom (bei ablaufendem Wasser und Seegang) bricht die See vor der Einfahrt, und dann kann die auf der Sandbank entstehende Welle ein Schiff zum Kentern bringen (siehe: An Land gespült). Man muss mit einlaufender Welle, also bei Flut, die Sandbank passieren. Zudem gibt es Untiefen, an denen bei Niedrigwasser die „Handbreit unterm Kiel“ fehlen würde.

Diese Kombination aus Warnmeldungen des UKW und die bevorstehende Flusseinfahrt zerrt an meinen Nerven. Stimmen die Berechnungen für die Tide? Wie vertrauenswürdig sind die Tidenzeiten aus dem iPhone/iPad? Wie stark ist die Strömung an der engen Hafeneinfahrt, vor der das Hafenhandbuch warnt?

Letztlich ist dann alles unproblematisch. Die Bedingungen sind gut bzw. an der Einfahrt zum Rio Guadiana hat es wenig Wind und Welle. Trotzdem, die bevorstehende „Atlantik-Pause“ in Form von Hafentagen und einer geplanten Flussfahrt kommt jetzt genau zur richtigen Zeit.

Kleine Anekdote am Rande: Bei der Anmeldung im Hafenbüro liegen Kopien der aktuellen Tidenzeiten aus. Klasse! denkt der Segler, jetzt kann ich meine Angaben aus dem iPad mal vergleichen mit „offiziellen“ Werten. Beim genaueren Hinschauen steht dann am oberen Rand des DIN A4 Blatts die Überschrift: Tides for iPhone.

Der Rio Guadiana bildet in seinem Unterlauf die Grenze zwischen Spanien und Portugal. Etwa 3 SM oberhalb der Mündung gibt es zwei Häfen zur Auswahl, backbord einen portugiesischen und steuerbord einen spanischen. Die Entscheidung fällt für die rechte Seite, die Kleinstadt Ayamonte (20 Tsd. Einw.). Der Ort erinnert mit seinen weiß getünchten Häusern an Griechenland, und tatsächlich soll er griechische Wurzeln haben. Behauptet zumindest das Tourismusbüro. Eine freundliche Mitarbeiterin nimmt sich viel Zeit und gibt ausführlich Tipps für Unternehmungen.

Der erste Besuch geht dann mit Miet-Fahrrädern zu einer Gezeitenmühle. Hier lief bei Flut das Wasser in ein Reservoir, aus dem es bei Ebbe nur durch die Mühle wieder herauskam. Auch hier wird deutlich, wie wenige Touristen erst unterwegs sind. Die junge „Mühlenwärterin“ ist richtig glücklich über den seltenen Besuch, auch wenn sie anfangs scherzt und 30 Euro Eintritt für das Gratisticket nennt.

Im Unterschied zu den letzten Stopps hat Ayamonte noch einen weiteren großen Vorteil. Es ist keine künstliche, halb leerstehende Urbanisation, sondern endlich mal wieder ein richtiger Ort mit guten Lebensmittel-Geschäften und sogar einer Markthalle. Hier macht das Einkaufen und das anschließende Kochen bzw. Grillen an Bord wieder Spaß.

Zur Zeit herrscht Vollmond und damit Springzeit, also besonders hohes Hoch- und Niedrigwasser. Damit verbunden ist ein entsprechend starker Tidenstrom, der uns schnell 18 Seemeilen den Rio Guadiana flussaufwärts schieben soll. Denn Umwege erhöhen die Ortskenntnis: bevor es weiter nach Faro geht, stehen noch Sanlúcar de Guadiana auf der spanischen und Alcoutim auf der gegenüberliegenden portugiesischen Flußseite auf dem Besuchsprogramm.

Besuch der schönen Männer

Das sind die kleinen Geschichten, die den Segleralltag bereichern, auch wenn sie einem selbst Lügen strafen. Entgegen eigener Aussage (siehe: Leben an Bord, drittletzter Absatz) kam nämlich doch Besuch auf hoher See, wenn auch nicht zum Abendessen.

Es war auf der Strecke von Chipiola nach Magazon, als eines der schwarzen Schnellboote, die man aus diversen spanischen Häfen kennt, am Horizont auftauchte, sich zielstrebig näherte und dann erst mal eine Runde um die Passat drehte. Offensichtlich wollte man anhand der Flagge feststellen, welche Nationalität das Spaßboot  hat. Dann kam der Zoll – um den handelte es sich laut der Aufnäher an den Uniformen – längsseits.

Vielleicht musste noch am wöchentlichen Soll von Kontrollen gearbeitet werden, und die Herren waren der Meinung, es sei deutlich angenehmer, mit ein paar Yachties zu plaudern als die Strickleiter an einem rostigen, chinesischen Kohlenfrachter hochzusteigen. Letztendlich schienen sie aber mit Schiffen unter Segel nicht so richtig vertraut.

Die erste Ansage war demzufolge, sie kämen jetzt rüber, wir könnten dabei aber weitersegeln. Das ist ein ambitioniertes Vorhaben bei knapp sechs Knoten Fahrt, und das war ihnen dann auch schnell klar. Nächste Ansage: wir sollten das Schiff verlangsamen. Aber wie bremst man eine Yacht unter Segeln?? Also, Segel runter. Dann kamen zwei der Jungs an Bord.

Die sahen im übrigen alle so aus, als wären sie gerade einem Bruce-Willis-Film entsprungen: markante Gesichter mit Sonnenbrillen, braungebrannt und muskelbepackt. Die warmgeduschten Schwimmwesten hätte man im Film vielleicht weggelassen, aber der Rest stimmte ganz gut.

Es wurde eine sehr freundliche Begegnung. Der eine ging mit dem Skipper unter Deck, um die üblichen Papiere zu sichten, Ausweise zu kontrollieren, Formulare auszufüllen und Stempel zu setzen. Der zweite, relativ gut Englisch sprechend, blieb mit dem Steuermann im Cockpit, übersetzte hin und wieder nach unten ins Schiff, und erzählte ansonsten, dass es nach seiner Meinung in Südspanien zu heiß und im Sommer überhaupt nicht auszuhalten sei (aha, deshalb der Job auf dem Schiff. Ist einfach kühler da). Außerdem erzählte er von seinem Faible für Österreich und Deutschland, und da wird man in diesen Zeiten wirklich verlegen.

Die martialischen Erscheinungen verschwanden zunehmend hinter zwei ausgesprochen angenehmen, sympathischen Menschen. Eigentlich schade, dass sie nicht zum Abendessen geblieben sind.

 

Wieder im Atlantik: stürmische Passage durch die Straße von Gibraltar

Unsere Borduhr hat vier Zeiger (Bild1). Zwei schwarze für Stunden und Minuten, einen roten für die Sekunden und einen dickeren, blauen, für? Was meint ihr? Kleiner Tipp: er läuft etwas schneller als der Stundenzeiger …  Richtig, das ist die Anzeige für Ebbe und Flut. Diesen beiden gilt jetzt wieder erhöhte Aufmerksamkeit, und neben den Windprognosen bestimmen die Tiden hier im Atlantik unsere Törnplanung.

Auf dem iPhone bzw. iPad ist so eine Tidenuhr noch etwas schicker (Bild 2). Diese App gibt uns zusätzlich die Informationen über die mondabhängige Spring- bzw. Nippzeit, also über hohes oder niedriges Hoch- bzw. Niedrigwasser. In der Lagune von Faro, wo wir bald ankern werden, gibt es öfters Passagen, die dann entweder wie kleine Inseln aus dem Wasser schauen oder vom Wasser noch bedeckt sind (Bild 3). Das Wracksymbol auf der Karte ist ja nicht zu übersehen, und davon gibt es einige in diesem wattähnlichen Gebiet. Der Seglergruß „immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel“ wurde bestimmt hier erfunden.

Der letzte Törnabschnitt von Gibraltar über Barbate nach Cadiz war unser Wechsel vom Mittelmeer in den Atlantik. Für ein kleines Segelboot kann die Strecke durch die Straße von Gibraltar (insbesondere in dieser Richtung) zum Problem werden. Es gibt in der Meerenge zwischen Afrika und Europa einen nach Osten setzenden Strom. Aufgrund der Verdunstung im Mittelmeer fließt ständig Wasser vom Atlantik nach. Außerdem weht der Wind hier meistens aus westlicher Richtung, und dies häufig in Sturmstärke. Wie in einer Düse – der engste Teil der Straße ist gerade einmal acht Meilen breit – verstärkt sich der Wind in der Meerenge um zwei Beaufort. Will man dann dagegen ansegeln, also gegen Wind und Strom, hat man meist keine Chance.

Seit ein paar Tagen lese ich das Buch „Zu fernen Küsten“ (Danke für den Tipp, Reiner). Der Autor E.C. Hiscock beschreibt darin, wie er vor Jahren versuchte, diese Strecke zu bewältigen.

„Wir verließen zusammen den Yachthafen und motorten fünf Meilen weiter unter der Küste bis zu dem Osteingang der Straße, wo wir auf einen starken Westwind trafen. Wir refften das Großsegel, wechselten zur kleinen Fock und versuchten hindurchzukreuzen. Nach einem Schlag in die Mitte, wo eine rauhe See lief, und einem zweiten zurück zur Nordküste, mussten wir aber feststellen, dass wir zurückgetrieben worden waren. Wir gaben es auf und segelten zurück.“

Im Lauf der folgenden Tage versuchte er es weitere sieben Mal … „wir versuchten es bei Tag und wir versuchten es bei Nacht; wir versuchten es unter Segel, unter Motor und Segel, und wir versuchten es sogar unter Motor allein; vergeblich, es war nicht dagegen anzukommen.“ … bevor er es endlich schaffte.

Im Unterschied zu Hiscock warteten wir auf Ostwind und nutzten den Strom. In Küstennähe überwindet die nach Westen laufende Tidenströmung den Oststrom; um daraus Vorteile zu ziehen, muss man sich jedoch nahe an der Küste halten, der Felsen vorgelagert sind. Dank unserer Navigation mithilfe des iPads (Plotter) war dies kein Problem. Den nach Westen laufenden Tidenstrom konnten wir gut nutzen. Hiscock dagegen war sich seines genauen Standorts nie ganz sicher. Auch wegen der Strömung, die ihn ständig versetzte, musste er vorsichtiger sein.

Dank des Ostwinds konnten wir die Straße auch unter Segeln schnell und im ersten Anlauf passieren. Allerdings warnte bereits in der Bucht von Gibraltar Tarifa Traffic Radio vor Starkwind. Zu diesem Zeitpunkt war der Wind eher flau, und wir setzten ungerefft das Großsegel. Vor Tarifa erreichte der Wind dann tatsächlich über 30 Knoten (7 Beaufort – selbst gemessen!). Spätestens jetzt mussten wir das Groß bergen. Keine einfache Aufgabe bei der sehr bewegten See.

Warum bin ich nicht beim ursprünglichen Plan geblieben? Auch unter der bis auf einen kleinen Lappen eingerollten Genua segelten wir letztlich mit viel Speed.

Mittlerweile sind wir in Cádiz und froh über die anstehenden Hafentage in dieser schönen Stadt. Unser Navtex meldet gerade eine Gale Warning (letztes Bild) für die Straße von Gibraltar. Wir hatten also viel Glück mit unserem Zeitfenster – ohne Nebel, ohne Westwind und mit Starkwind – aber nicht wirklichem Sturm – aus Osten.

Leben an Bord: Routine, Klausur und die Freiheiten im Kopf

Auch einfache Fragen können kompliziertere Gedanken auslösen, die wiederum zu komplexeren oder jedenfalls umfangreicheren Antworten führen als anfänglich gedacht.

„Wie verläuft ein Routinetag auf dem Segelschiff?“ fragte eine Leserin unseres Blogs, und die erste Reaktion war natürlich, das Wort „Routine“ mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Routine wollten wir doch eigentlich hinter uns lassen. Aber tun wir das wirklich? Oder wechseln wir die Zuhause-Routine nur gegen eine etwas speziellere Urlaubs- bzw. Reise-Routine?

Und ja, auch auf dem Schiff gibt es Routine. Fängt damit an, wer sich was morgens zum Frühstück macht (immer das selbe), die Routinen nach dem Einlaufen im Hafen (Anmelden im Hafenbüro, Checken der Sanitärräume, wo ist der nächste Supermarkt) bis zu den ganz persönlichen Gewohnheiten (vor dem Einschlafen noch ein Kapitel lesen). Der Mensch erfindet sich ja nicht neu, nur weil er seine sichere Höhle verlassen hat.

Und doch ist ein Segelschiff eine der besseren Möglichkeiten, Routine aufzubrechen. Die räumliche Beschränktheit nicht nur in der Fläche, sondern auch in der Höhe zwingt zu einer ebenso harschen Einschränkung der physischen Freiheit. Der Hauptraum unter Deck, die „Messe“ hat auf der Passat circa 6 qm, stehen kann man davon nur in einem schmalen Gang, der vom Niedergang (=Treppchen ins Schiff) nach hinten führt, wo sich ein winziger Verschlag mit WC und Waschbecken anschließt (bleibt auch keine Frau freiwillig länger als eine Minute drin).

Der Begriff Downsizing erlebt hier eine weitere sehr konkrete Bedeutung. Wenn man sich die ersten Tage sämtliche Extremitäten angeschlagen hat und der Körper genügend blaue Flecken aufweist, reduziert man nicht nur jede ausladende Bewegung, sondern versucht sich insgesamt kleiner und platzsparender zu machen. Ständig will man die Bewegungen des anderen vorauszuahnen, um seine Kreise nicht zu stören. Aber aus dem Weg gehen kann man sich erst recht nicht. Leute, die sich nicht mögen, sollten jedenfalls nicht ernsthaft erwägen miteinander zu segeln. Andererseits ist es eine großartige Therapie für Leute, die meinen ihre Wohnung sei zu klein. Zur Ehrenrettung des Schiffes muss man außerdem hinzufügen, dass die Möglichkeit, überall mit ausgestrecktem Arm einen Halt zu finden, bei schwieriger See durchaus auch Vorteile bietet.

Außerdem hat diese Kleinstraumwohnung einen Balkon, den der Segler Cockpit nennt, Hier waltet und schaltet der Käpt’n, wenn das Boot unterwegs ist. Aber auch sonst ist das der „best place to be“, um klaustrophobische Anfälle (aber auch Seekrankheit) zu vermeiden.

Immerhin provoziert der wenige Platz den Ordnungssinn. Alle raumgreifenden Aktivitäten wie Anziehen oder Kochen und Geschirr spülen brauchen durch die verlangsamten Bewegungen eh schon viel mehr Zeit, und was herumliegt, verringert die kostbare Fläche noch mehr. Beim Segeln in Schräglage fällt der Kram an den tiefsten Punkt im Schiff (wechselnd), und im Cockpit können Stolperfallen schnell zum echten Ärgernis wenn nicht sogar gefährlich werden.

Was macht man nun mit den Freiheiten, die einem bleiben, wenn weder Seilspringen noch Yoga so richtig praktikabel ist? Zunächst mal sind Tage im Hafen was anderes als Tage auf See, und richtig ganz was anderes sind Nächte auf See. Im Hafen reduziert sich das Schiff zum Schlafplatz und Rückzugsort. Ansonsten tut man das, was alle Touristen machen: Land und Leute anschauen.

Aktives Segeln dagegen erfordert Zeitmanagement, wobei die zentralen Bestimmungsfaktoren Wind und Wetter sind. Der Rest hat sich unterzuordnen. Die Analyse von Wettervorhersagen erfordern Zeit, alles andere auch: Wasser bunkern, Einkaufen, sonstige Auslaufvorbereitungen. Und dann segelt man – wenn es genügend Wind hat. Dafür hat man ja ein Segelboot. Konkret heißt das, die Segel setzen, bei Flaute (kommt im Mittelmeer auch oft vor) einzuholen und, wenn oben, kontinuierlich in der Stellung zu halten, die maximale Geschwindigkeit in Bezug auf das Ziel verspricht und den Kurs dorthin öfters zu überprüfen. Das nennt sich im übrigen Navigation oder Navigieren, was früher ein riesen Thema war und heute einigermaßen leicht ist, solange das iPad funktioniert. Nebenher wird auch kontinuierlich Logbuch geschrieben.

Außerhalb des Hafens ist immer mindestens ein Segler im Cockpit, der dann auch die Verantwortung für die Sicherheit des Schiffs inne hat. Nachttörns sind insofern extrem, als alle drei Stunden die Wache an Deck wechselt, heißt, man schläft maximal drei Stunden am Stück, was am nächsten Tag deutlich in den Knochen zu spüren ist. Außerdem ist es auch in Sommernächten oft feucht draußen, und die Steife durch Bewegungsmangel wird noch verschärft durch mehrlagige Klamottage und eine Schwimmweste.

Und sonst? Sonst kann jeder machen, was er will. Lesen, schreiben (wie gerade, ha ha), Musik hören, Sterne anschauen oder gar nichts. Claus bspw. liebt es, an Bord zu kochen, gerne auch bei Seegang (Anzahl der Gänge äquivalent zur Windstärke, so kommt es mir manchmal vor). Es gibt einen kardanisch aufgehängten Herd mit Backofen, der zumindest die Rollbewegungen des Schiffs ausgleicht. Da werden oft richtige Menüs darauf gezaubert. Dazu gibt es Rotwein, guten Jazz und danach – je nach Müdigkeitslevel und im Hafen, einen Film auf dem MacBook (nein, noch zahlt uns Apple nichts). Seit neuestem hat es auch einen Bord-Grill. Das Teil ist so genial, dass wir demnächst vielleicht was extra dazu sagen.

Auch wenn sich die Tage ähneln, hat das nichts mit Routine zu tun. Routine ist das tägliche Zähneputzen, weil es dafür kein Nachdenken und erst Recht keinen Plan braucht. Für die wesentlichen Dinge auf einem Segeltörn hat man immer einen Plan, auch wenn dieser nicht zwangsläufig eins zu eins umgesetzt wird.

Ein bisschen Philosophie zum Schluss: das mit der Freiheit der Meere ist ein netter Gedanke, aber bei genauem Hinsehen gibt es kaum einen Ort größerer Verlorenheit als ein kleines Segelboot auf  großer Fahrt. Ein paar Quadratmeter Planken und dann viele, viele Seemeilen nichts mehr. Theoretisch kann man zwar noch besser sehen, wer zum Abendessen kommt, als in Ostfriesland. Aber es kommt keiner! So gesehen ist Segeln ein bisschen auch ein Akt mutwilliger Selbst-Isolation. Man erfährt selten so konkret die Distanz zwischen sich und dem Rest der Welt, wie wenn man auf hoher See einmal rundum schaut.

Aber wir wissen doch alle: der Mensch ist hin und wieder ein merkwürdiges Wesen. Im speziellen Fall des Segelns lässt er sich freudvoll einengen und zeitweilig vom Rest der Welt abschneiden, um dann von Freiheit und Unabhängigkeit zu schwadronieren. Trotzdem ist was Wahres dran. Entscheidend ist, dass diese Widrigkeiten selbst gewählt und vor allem nicht menschengemacht sind. Der schlimmste Regen ist auszuhalten, solange er nicht aus Nachbars Gartenschlauch kommt.

Und sind nicht die wahren Freiheiten die im Kopf? Du hörst den Wind, du siehst – egal wohin du schaust – immer bis zum Horizont, du spürst die Welle und jede Bewegung des Schiffs unter dir. Immer wieder und immer wieder, und es wird nie Routine.

Gourmet-Segeln – oder Segler mit Zeit haben immer guten Wind

Freunde von uns, Anne und Bruce, leben in Australien und segeln auch gerade mit ihrem Katamaran im nördlichen Great Barrier Reef. In einer der letzten E-Mails fragte Anne:

„Habt ihr auch ein Sturmsegel? Geht ihr raus, wenn es ueber 30 Knoten Wind hat? Ich bin ja kein so mutiger Segler. Schnell segeln – also gestern waren es 11 Knoten (kommt selten vor) – ist fuer mich ok, nur mag ich es nicht, wenn die Wellen zu hoch werden (ueber 1.5-2 m ist fuer mich nichts mehr). Dann bekomme ich Angst. Wir segeln also normalerweise nur, wenn es bis 25 Knoten Wind hat.“

Anne, wir sehen das auch so. Starkwind, Sturm und rauer See versuchen wir aus dem Weg zu gehen. Gerade hatten wir eine Phase von stärkerem Wind (Bild 1). In dieser Zeit lagen wir im sicheren Hafen von Almeria und haben spannende Ausflüge ins Hinterland gemacht.

Im Alboranmeer, unsere aktuelle Position, gibt es fast ausschließlich westliche oder östliche Winde (Bild 2). Als ich vor 20 Jahren zum ersten Mal hier segelte, fehlte mir diese Information und wir sind sehr mühsam gegenan gesegelt. Auf meinem alten Übersegler (Seekarte größeren Massstabs) ist ein Track dazu noch eingezeichnet (Bild 3). Zugegeben, dieser Ehrgeiz fehlt mir heute.

Ab morgen sind wieder Tage mit östlicher Windrichtung angesagt (Bild 4). Wir werden damit gemütlich und sanft durch die See gleiten und freuen uns darauf!

Meine Frau nennt mich ab und zu scherzhaft „Gourmet-Segler“. Mit diesem ironischem Kommentar kann ich aber gut leben und empfinde diese Titulierung als Kompliment.

25 – 30 Knoten Wind (6 -7 Bft) von achtern kann eine schöne und rasante Fahrt bedeuten. Von vorne: NO THANKS!

Windnavigation

Cartagena. Stärkerer Wind aus der falschen Richtung hält uns hier fest. Die Stadt ist aber ein lohnendes Ziel, der Hafen bietet guten Schutz und in der Messe der „Passat“ ist es gemütlich.

Während ich diese Zeilen schreibe pfeift der Wind draußen und diverse Fallen und Tampen schlagen auf den Schiffen um uns herum (aus Selbstschutz haben wir dagegen unser Tauwerk abgebunden).

In den letzten Jahren hat sich für mich das Fahrtensegeln zweimal grundlegend geändert. Vor etwa 20 Jahren mit der Einführung des GPS und in den letzten Jahren durch das Internet und die damit verbundene leichte Verfügbarkeit von Wetterprognosen. Günstige Winde können damit für die Streckenplanung genutzt bzw. Starkwind umgangen werden.

Dank richtiger Vorhersagen funktionierte das auf unserem Törn bisher richtig gut. Man sollte sich aber nicht zu sehr darauf verlassen und misstrauisch bleiben. Meteorologen liegen bekanntlich manchmal daneben.

Um die Winde optimal nutzen zu können, klingelte  der Wecker an den beiden letzten Tagen bereits morgens um sechs Uhr. Als Lohn konnten wir dann super segeln, und auf der längeren Tagesetappe von Torrevieja nach Cartagena lief der Motor nur für die Ein- bzw. Ausfahrt aus den Häfen.

Die Logbuchauswertung dazu:

=== 28. März 2014 =====
07:09 bis 15:12
Ø-Geschwindigkeit: 5.1kn
Ø-Kurs: 200°
Zurückgelegte Strecke: 39.1sm
Verstrichene Zeit: 8.1 Stunden
0.20 Motorstunden
 
 
 

Von Mallorca nach Alicante

Will man mit dem Boot von der Südwestküste Mallorcas nach Alicante an der Costa Blanca, so ist die Route eine nahezu perfekte Gerade. Kurs West-Südwest führt diese hart an der Nordspitze Ibizas vorbei und kommt am Kap de la Nao an die spanische Festlandküste, der man parallel folgt, bis nahezu von selbst Alicante vor einem auftaucht.

Voraussetzung sind natürlich wohlwollende Winde aus Richtungen, die das Boot nicht zum Kreuzen zwingen, und in Stärke, die eine Mindestgeschwindigkeit ermöglichen. Aiolos – Gott der Winde – war uns wohlwollend gesonnen und blies an beiden Tagen mit einer fröhlichen drei erst aus Nordwesten dann aus Süden, während sich nachts jeweils die große Windstille breit machte, die dann der Schiffsdiesel übertönte. Trotz (oder gerade wegen?) dieser Flaute baute sich am Abend vor Ibiza eine Kreuzsee (googeln!) auf, die das Schiff so heftig schwanken und vor allem um die Längsachse rollen ließ, dass selbst dem sonst diesbezüglich völlig schmerzfreien Skipper mulmig wurde. Einziges Gegenmittel: an Deck bleiben und die Millionen Sterne eines überwältigend klaren Himmels fixieren.

Es gab Begegnungen: In der Dämmerung des ersten Tags hatte ein Rudel Delphine viel Spaß mit uns und wir mit ihnen. Auf allen Seiten des Schiffs schossen sie aus dem Wasser der kabbelnden See, um auf ihre elegante Art gleich wieder abzutauchen, nicht ohne einem dabei kurz anzugrinsen.

Zwischen Ibiza und Festland näherte sich ein größerer Massengutfrachter mit dem schönen Namen Ekatarina (nein, kein Russe.  Fuhr unter maltesischer Flagge und wollte nach Gibraltar) beharrlich auf Kollisionskurs. Claus rief ihn auf UKW an und es entspannte sich eine nette Unterhaltung mit Einlenken und Kurskorrekturen beider Beteiligter. Als der Käpt’n der Ekatarina zum Abschied in sein Riesenhorn stieß, holte Claus seine Pressluft-Fußballtröte heraus und erwiderte diesen Gruß. Danach war für eine habe Stunde bestimmt kein Fisch mehr in unserer Nähe.

Die erste Begegnung mit dem spanischen Festland war der riesige Felsen von Calp, der sich zunehmend aus dem Abenddunst herausschob und mit jeder Seemeile seine Silhouette völlig veränderte. Nicht viel später war es dunkel, und als Benidorm in Sicht kam, dachten wir, wir würden New York passieren. Die kilometerlangen Lichterketten am Ufer vermitteln den Eindruck von Glanz und Leben. Bei genauerem Hinsehen stellt man aber fest, das die Lichter in den Häusern selbst sehr dünn gesät sind.  Diese Zeichen der Krise in Spanien werden uns ab jetzt häufiger begegnen.

Um kurz nach 2:00 Uhr in der Nacht zum Freitag lief die „Passat“ in den Hafen des Real Club de Regata in Alicante ein.

Für Segelinteressierte gibt ein detailliertes Logbuch, das Claus mit der App „Logbuch“ auf seinem iPad erstellt hat.