Flussfahrt mit Schwung: auf dem Rio Guadiana nach Alcoutim

Die Passat war die letzten 20 Jahre im Mittelmeer, und da vor allem in spanischen Gewässern. Hier in Ayamonte, dem letzten Hafen vor Portugal, soll diese Ära für einen längeren Abschnitt zu Ende gehen. Ein wenig Innehalten und langsames Herantasten an die nächste große Seefahrernation kann also nicht schaden. Und was bietet sich da mehr an, als eine Fahrt auf dem Rio Guadiana, dem Grenzfluss zwischen Spanien und Portugal.

Um mit einem Segelschiff einen Fluss zu befahren, müssen drei Voraussetzungen gegeben sein: durchgängig ausreichende Tiefe, keine Brücken, an denen der Mast hängen bleiben könnte, und nicht zu viel Strömung gegen die Fahrtrichtung. All das ist hier der Fall, und so hat der Unterlauf des Rio Guadiana den Ruf eines guten Kontrastprogramms zum Segeln auf dem Atlantik.

Ziel der Reise sind üblicherweise die Orte Sanlúcar de Guadiana, Spanien und Alcoutim, Portugal, die sich 18 SM (ca. 30 km) flussaufwärts direkt gegenüber liegen.

Der Rio Guadiana zieht, aus einem Stausee kommend, zielstrebig nach Süden dem Atlantik zu und durchquert dabei eine hügelige, dünn besiedelte Landschaft. Winzige Dörfer wechseln mit einzelnen Gehöften und Häusern, die durch das meist dichte Schilf hervorlugen, wenn sie nicht auf einer Anhöhe stehen und den Fluss überblicken. Wegen des geringen Gefälles des Flusses dringt die Flut bis weit ins Land vor. Wenn man an der Küste zur richtigen Zeit startet, schiebt einem bereits die Strömung mit mehreren Knoten Geschwindigkeit landeinwärts. Mit ein bisschen Motorunterstützung kommt man so leicht auf 5 – 6 Knoten Geschwindigkeit über Grund.

Da am Tag der Tage auch noch ein kräftiger Südwind wehte, bot es sich an, die Fock, also das Vorsegel, rauszuholen. Flugs bewegte sich die Passat mit sensationellen sieben Knoten flussaufwärts, und nach weniger als drei Stunden kamen beide Dörfer in Sicht.

Hafenhandbücher und sonstige navigatorische Inforationsquellen erzählen übereinstimmend, dass die zwei Orte mittlerweile vernünftige Infrastruktur für Segelboote vorhalten in Form von Schwimmstegen mit Strom- und Wasserversorgung. Insofern bestand nicht nur Hoffnung auf einen dieser Komfortplätze, sondern auch auf ein einigermaßen reges Seglerleben am Steg und in der Hafenkneipe.

Der erste Blick schien der Erwartung Recht zu geben. Der Fluss zwischen beiden Orten war auf größere Strecke voll mit Booten. Selbst in der Mitte, also da, wo die Fahrrinne am tiefsten und am sichersten ist, ankerten Schiffe. Beim zweiten Hinsehen fiel auf, dass nirgendwo Menschen zu sehen waren. Nicht nur das, die Boote schienen eher verlassen, mit Persenning über den Segeln und die Luken verschlossen. Dazu kam, dass die Mehrzahl der Boote einen – vorsichtig ausgedrückt –  reichlich pittoresken Eindruck machte.

Wer eins und eins zusammenzählt, kommt an der Vermutung nicht vorbei, dass sich hier all die sammeln, die die Kosten für einen Liegeplatz in den regulären Häfen an der Küste nicht aufbringen wollen oder können, zumindest so lange wie das Schiff nicht genutzt wird.

Auch die Stege waren auf beiden Seiten voll belegt. Der Anker der Passat fiel exakt in der Mitte des Flusses. Auf die Frage, warum hier und nicht da, wo andere Schiffe liegen, folgte die Feststellung, dass diese Frage auch von der eigenen Ehefrau stammen könnte. Aha, auch nach Jahrzehnten enger Freundschaft lässt sich noch was voneinander lernen.

Das Dingi wurde aufgepumpt, mit dem Außenborder bestückt, und in Richtung Spanien in Bewegung gesetzt. Nach 200 Metern waren wir da. Die Boote am Steg sahen aus, als würden sie seit Monaten da liegen. Es gab Exemplare, bei denen man Angst hätte, dass sich Lawinen von Gerätschaft in den Fluss ergießen, wenn sie so losmachen würden. Angekettete Fahrräder, Grills, Beiboote, Kisten, Zeugs und Gerümpel.

Nun muss man wissen, dass auch Segler nur Menschen sind. Und so gibt es unter ihnen auch die ganz peniblen (die Gartenzwergaufsteller!), die Chaoten und die Messis. Letztere sind gar nicht so selten. Vielleicht erkennt man sie eher, weil der ganze Krempel nicht unter Deck passt. Deshalb sind sie auf Booten auffälliger.

Trotz Freitagabend hatte Sanlúcar etwas von einer Geisterstadt. Außer der völlig leeren Hafenkneipe zeigte sich keinerlei Restaurant, wie auch die Einwohner hinter ihren Türen unsichtbar blieben. Eine schwarze Katze sprang beim Näherkommen von ihrer weißen Mauer und verschwand ebenfalls.

Für einen weiteren Versuch bot sich Portugal an. Schön, wenn Länder sich so nahe sind. Das Dingi tuckerte auch freudig auf den Fluss hinaus. Genau in der Mitte, auf der Grenze, ging allerdings der Motor aus. Da just die Strömung am kentern war, blieben Schiff und Besatzung nahezu unbewegt stehen (dass Strömungen kentern können, wissen wohl hauptsächlich Vollblut-Segler. Aber solange nur die Strömung und nicht das Schiff kentert, soll es recht sein). Nun, das Benzin war alle, und da der Käpt’n schon ahnte, dass es knapp werden könnte, hatte er den Kanister gleich mit eingepackt.

Beim Anlanden in Portugal zeigte sich tatsächlich mehr Leben. Ein Vater saß auf der Hafentreppen und liebkoste sein Baby. Um ihn herum watschelten mehrere Enten, und dann gab es noch einen Mann aus Stein. Das ist die Plastik eines etwas gehetzt ausschauenden Menschen, wohl irgendeinem Sohn des Ortes, dem hier ein Denkmal gesetzt wurde.

Es gab dann aber doch noch mehr. Mehr Menschen, außerdem Katzen und Hunde, und es gab Wahlkampf. Zumindest auf dem Papier in Form von Plakaten für oder gegen die Europawahl. Am interessantesten stellte sich die CDU dar. Zuhause in Deutschland biedere Vertreterin der konservativen Mitte schien sie hier mit Hammer und Sichel sowie einem komplett anderen Programm ihre Chancen am deutlich linken Rand  zu suchen. Vielleich ein Testmarkt? Vorbereitung für denkbaren Stimmungsumschwung in Deutschland? Oder ist das gar nicht mehr Mutti, die hier zu uns spricht? Ein offenes und sympathisch wirkendes Lokal schob die aufkommende Verwirrung in den Hintergrund.

Die Nacht auf dem Schiff mitten im Fluss und auf der Grenze zwischen Spanien und Portugal war eine eigene und angenehme Erfahrung. Mit dem Wechsel der Gezeiten und später auch der Strömung ändert sich alle sechseinhalb Stunden die Fließrichtung. Alle ankernden Boote drehen sich dann langsam um 180 Grad. Die Bewegung des Schiffs ist nicht so ruhig wie meist im Hafen, aber viel gleichmäßiger als auf See. Und das leise Rauschen des Flusses geht gegen Morgen in ein zunehmend lauter werdendes Zwitschern der unzähligen Vögel über.

Gewöhnlich sieht man von einem Segelboot aus entweder nichts außer Horizont, eventuell eine ferne Küste oder unzählige Masten und viele Boote, wenn in Hafen bzw. Marina. Hier schiebt man morgens den Kopf aus der Luke und blickt auf nahe Ufer mit dichtem Bewuchs, weiter unten freundliche Häuser, die sich beidseits die Hänge hochziehen, und sonst nichts, außer einer friedlichen Flusslandschaft.

Es ist wirklich ein Kontrastprogramm, und die Beschränkungen, was das Segeln angeht, sorgen von selbst dafür, dass es die Ausnahme bleibt. Aber es sind diese kleinen Akzente, die die Feinheiten definieren und damit dem Ganzen einen weiteren Spannungsbogen geben.

Besuch der schönen Männer

Das sind die kleinen Geschichten, die den Segleralltag bereichern, auch wenn sie einem selbst Lügen strafen. Entgegen eigener Aussage (siehe: Leben an Bord, drittletzter Absatz) kam nämlich doch Besuch auf hoher See, wenn auch nicht zum Abendessen.

Es war auf der Strecke von Chipiola nach Magazon, als eines der schwarzen Schnellboote, die man aus diversen spanischen Häfen kennt, am Horizont auftauchte, sich zielstrebig näherte und dann erst mal eine Runde um die Passat drehte. Offensichtlich wollte man anhand der Flagge feststellen, welche Nationalität das Spaßboot  hat. Dann kam der Zoll – um den handelte es sich laut der Aufnäher an den Uniformen – längsseits.

Vielleicht musste noch am wöchentlichen Soll von Kontrollen gearbeitet werden, und die Herren waren der Meinung, es sei deutlich angenehmer, mit ein paar Yachties zu plaudern als die Strickleiter an einem rostigen, chinesischen Kohlenfrachter hochzusteigen. Letztendlich schienen sie aber mit Schiffen unter Segel nicht so richtig vertraut.

Die erste Ansage war demzufolge, sie kämen jetzt rüber, wir könnten dabei aber weitersegeln. Das ist ein ambitioniertes Vorhaben bei knapp sechs Knoten Fahrt, und das war ihnen dann auch schnell klar. Nächste Ansage: wir sollten das Schiff verlangsamen. Aber wie bremst man eine Yacht unter Segeln?? Also, Segel runter. Dann kamen zwei der Jungs an Bord.

Die sahen im übrigen alle so aus, als wären sie gerade einem Bruce-Willis-Film entsprungen: markante Gesichter mit Sonnenbrillen, braungebrannt und muskelbepackt. Die warmgeduschten Schwimmwesten hätte man im Film vielleicht weggelassen, aber der Rest stimmte ganz gut.

Es wurde eine sehr freundliche Begegnung. Der eine ging mit dem Skipper unter Deck, um die üblichen Papiere zu sichten, Ausweise zu kontrollieren, Formulare auszufüllen und Stempel zu setzen. Der zweite, relativ gut Englisch sprechend, blieb mit dem Steuermann im Cockpit, übersetzte hin und wieder nach unten ins Schiff, und erzählte ansonsten, dass es nach seiner Meinung in Südspanien zu heiß und im Sommer überhaupt nicht auszuhalten sei (aha, deshalb der Job auf dem Schiff. Ist einfach kühler da). Außerdem erzählte er von seinem Faible für Österreich und Deutschland, und da wird man in diesen Zeiten wirklich verlegen.

Die martialischen Erscheinungen verschwanden zunehmend hinter zwei ausgesprochen angenehmen, sympathischen Menschen. Eigentlich schade, dass sie nicht zum Abendessen geblieben sind.

 

Cádiz, Stadt mit Wärme und Weitblick

In  mancher Hinsicht sind Städte wie Menschen. Beide teilen sich Äußerlichkeiten wie sauber, hässlich, hektisch oder gepflegt etc.. Interessanter sind aber Merkmale, die nicht gleich ins Auge fallen. So können Städte auch eine Ausstrahlung haben, und Cádiz ist so eine Stadt mit Ausstrahlung.

Woran sich das festmachen lässt? Keine einfache Frage. Aber kennt das nicht jeder? Man kommt irgendwo an, versucht sich zu orientieren, geht ein wenig durch die Straßen, und im besten Fall stellt sich so eine Art Wohlgefühl ein. Hier würde ich gerne eine Weile bleiben, ist dann der nächste Gedanke. So ging es uns mit Cádiz. Ein paar Monate auf dem Schiff oder in einer Pension wohnen, Spanischkurs machen, sich treiben lassen, und und … Aber der Reihe nach!

Cádiz ist eine wirklich alte Stadt im alten Europa. Jahreszahlen lassen wir hier weg, aber im Mittelalter war die Historie schon lang. Ihre Lage weckte die Begehrlichkeiten. Sie ist nahezu vollständig vom Wasser umgeben. Im Westen der Atlantik, und im Osten ein riesiges, lagunenartiges Gewässer: die Bucht von Cádiz. In der Konsequenz bedeutete das große Schwierigkeiten für Neider und Feinde, da hin und vor allem hinein zu gelangen, andererseits bietet das ideale Möglichkeiten für die Schifffahrt inklusive eines sicheren Naturhafens. Wie so oft waren es dann die Kaufleute, die sich hier in großer Zahl niederließen und regen Handel mit fremden Ländern und den eigenen Überseekolonien insbesondere in Amerika betrieben.

In der heutigen Zeit wird Alter und Beschränktheit in Fläche zum Segen. Es bleibt kaum eine Chance für korrupte Bauunternehmer, Stadtplaner und Architekten, signifikante Bausünden zu begehen, wie sonst überall in Spanien. Irgendwie haben die es zwar trotzdem hingekriegt, im inneren Bereich der Markthalle von Cádiz, die die älteste in ganz Spanien ist, einen Kasten hinzusetzen, der den Charme eines Lok-Schuppens hat. Wie lange er es schafft, nicht zusammen zu fallen, ist nochmals eine andere Frage. Und es sind gottseidank Einzelfälle. Ansonsten zeigt sich die Altstadt erfreulich homogen und geschlossen.

Aus der Perspektive des Fußgängers gesehen fallen zunächst ein paar Konstanten auf. An fast allen Häusern finden sich die alten Straßenlaternen und außerdem kleine vorspringende Erker, die ausschauen wie  sehr schmale Balkone, welche man nachträglich mit Holzverkleidungen zu etwas gemacht hat, was gemeinhin unter dem Begriff „Wintergarten“ läuft. Die mit Kopfsteinen gepflasterten Straßen sind eng, es passt gerade ein Auto durch, öffnen sich aber oft ganz überraschend zu großen und großzügigen Plätzen. Eine sehr gelungene Dialektik im Städtebau wurde da vor mehr als Tausend Jahren gepflegt, von der sich mancher Stadtplaner heute was abschauen könnte.

Was aber das wirklich Besondere an Cádiz ist, eröffnet sich dem ahnungslosen Reisenden erst auf den zweiten Blick, nämlich dem über die Dächer. Auf der Liste der wichtigsten Sehenswürdigkeiten (ja, so was lesen wir verschämt auch) steht der Torre Tavira, der dank seines Standpunktes auf der höchsten Erhebung von Cádiz von enormen 45 Metern zu einem der drei historischen Wachtürmen der Stadt gehört. Und von da aus gesehen zeigt sich Erstaunliches. Die Dächer der Altstadt sind gespickt mit Türmen!

Die Handelsleute im Mittelalter waren natürlich erpicht, möglichst frühzeitig Kenntnis von der bevorstehenden Ankunft ihrer Schiffe zu bekommen. Was lag da näher, als einen Aussichtsturm aufs traditionelle Flachdach zu bauen, von dem man bis zum Horizont schauen konnte. Schon bald zierte nahezu jedes Haus ein solcher Turm, wobei es unterschiedliche Typen gab. Nur Turm, Turm mit Türmchen, Turm mit Terrasse und Kombinationen aus allem. Heute existieren noch 126 dieser alten Türme, die der Silhouette der Stadt eine einmaliges Gepräge geben.

In diesem schönen Ambiente wohnen, so scheint es, zufriedene Menschen. Die Bevölkerung besteht aus einem guten Mix von Einheimischen, Studenten und einer überschaubaren Menge an Touristen, diese vor allem von Kreuzfahrtschiffen. Die männlichen Gatidanos – so nennen sich die Einwohner von Cádiz – haben Zeit zum Angeln und einem angelegentlichen Schläfchen auf öffentlichen Bänken (ob freiwillig oder nicht, ist eine ganz andere Frage). Abends füllen sich die Plätze mit Familien inklusive einer unendlichen Menge von Kindern, und hier wird offensichtlich, dass gute Laune und Fröhlichkeit in der aktuellen Wirtschaftskrise noch nicht völlig abhanden gekommen sind. Das lässt diese Stadt ihre Besucher spüren, und das macht sie so warm und sympathisch.

Leben an Bord: Routine, Klausur und die Freiheiten im Kopf

Auch einfache Fragen können kompliziertere Gedanken auslösen, die wiederum zu komplexeren oder jedenfalls umfangreicheren Antworten führen als anfänglich gedacht.

„Wie verläuft ein Routinetag auf dem Segelschiff?“ fragte eine Leserin unseres Blogs, und die erste Reaktion war natürlich, das Wort „Routine“ mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Routine wollten wir doch eigentlich hinter uns lassen. Aber tun wir das wirklich? Oder wechseln wir die Zuhause-Routine nur gegen eine etwas speziellere Urlaubs- bzw. Reise-Routine?

Und ja, auch auf dem Schiff gibt es Routine. Fängt damit an, wer sich was morgens zum Frühstück macht (immer das selbe), die Routinen nach dem Einlaufen im Hafen (Anmelden im Hafenbüro, Checken der Sanitärräume, wo ist der nächste Supermarkt) bis zu den ganz persönlichen Gewohnheiten (vor dem Einschlafen noch ein Kapitel lesen). Der Mensch erfindet sich ja nicht neu, nur weil er seine sichere Höhle verlassen hat.

Und doch ist ein Segelschiff eine der besseren Möglichkeiten, Routine aufzubrechen. Die räumliche Beschränktheit nicht nur in der Fläche, sondern auch in der Höhe zwingt zu einer ebenso harschen Einschränkung der physischen Freiheit. Der Hauptraum unter Deck, die „Messe“ hat auf der Passat circa 6 qm, stehen kann man davon nur in einem schmalen Gang, der vom Niedergang (=Treppchen ins Schiff) nach hinten führt, wo sich ein winziger Verschlag mit WC und Waschbecken anschließt (bleibt auch keine Frau freiwillig länger als eine Minute drin).

Der Begriff Downsizing erlebt hier eine weitere sehr konkrete Bedeutung. Wenn man sich die ersten Tage sämtliche Extremitäten angeschlagen hat und der Körper genügend blaue Flecken aufweist, reduziert man nicht nur jede ausladende Bewegung, sondern versucht sich insgesamt kleiner und platzsparender zu machen. Ständig will man die Bewegungen des anderen vorauszuahnen, um seine Kreise nicht zu stören. Aber aus dem Weg gehen kann man sich erst recht nicht. Leute, die sich nicht mögen, sollten jedenfalls nicht ernsthaft erwägen miteinander zu segeln. Andererseits ist es eine großartige Therapie für Leute, die meinen ihre Wohnung sei zu klein. Zur Ehrenrettung des Schiffes muss man außerdem hinzufügen, dass die Möglichkeit, überall mit ausgestrecktem Arm einen Halt zu finden, bei schwieriger See durchaus auch Vorteile bietet.

Außerdem hat diese Kleinstraumwohnung einen Balkon, den der Segler Cockpit nennt, Hier waltet und schaltet der Käpt’n, wenn das Boot unterwegs ist. Aber auch sonst ist das der „best place to be“, um klaustrophobische Anfälle (aber auch Seekrankheit) zu vermeiden.

Immerhin provoziert der wenige Platz den Ordnungssinn. Alle raumgreifenden Aktivitäten wie Anziehen oder Kochen und Geschirr spülen brauchen durch die verlangsamten Bewegungen eh schon viel mehr Zeit, und was herumliegt, verringert die kostbare Fläche noch mehr. Beim Segeln in Schräglage fällt der Kram an den tiefsten Punkt im Schiff (wechselnd), und im Cockpit können Stolperfallen schnell zum echten Ärgernis wenn nicht sogar gefährlich werden.

Was macht man nun mit den Freiheiten, die einem bleiben, wenn weder Seilspringen noch Yoga so richtig praktikabel ist? Zunächst mal sind Tage im Hafen was anderes als Tage auf See, und richtig ganz was anderes sind Nächte auf See. Im Hafen reduziert sich das Schiff zum Schlafplatz und Rückzugsort. Ansonsten tut man das, was alle Touristen machen: Land und Leute anschauen.

Aktives Segeln dagegen erfordert Zeitmanagement, wobei die zentralen Bestimmungsfaktoren Wind und Wetter sind. Der Rest hat sich unterzuordnen. Die Analyse von Wettervorhersagen erfordern Zeit, alles andere auch: Wasser bunkern, Einkaufen, sonstige Auslaufvorbereitungen. Und dann segelt man – wenn es genügend Wind hat. Dafür hat man ja ein Segelboot. Konkret heißt das, die Segel setzen, bei Flaute (kommt im Mittelmeer auch oft vor) einzuholen und, wenn oben, kontinuierlich in der Stellung zu halten, die maximale Geschwindigkeit in Bezug auf das Ziel verspricht und den Kurs dorthin öfters zu überprüfen. Das nennt sich im übrigen Navigation oder Navigieren, was früher ein riesen Thema war und heute einigermaßen leicht ist, solange das iPad funktioniert. Nebenher wird auch kontinuierlich Logbuch geschrieben.

Außerhalb des Hafens ist immer mindestens ein Segler im Cockpit, der dann auch die Verantwortung für die Sicherheit des Schiffs inne hat. Nachttörns sind insofern extrem, als alle drei Stunden die Wache an Deck wechselt, heißt, man schläft maximal drei Stunden am Stück, was am nächsten Tag deutlich in den Knochen zu spüren ist. Außerdem ist es auch in Sommernächten oft feucht draußen, und die Steife durch Bewegungsmangel wird noch verschärft durch mehrlagige Klamottage und eine Schwimmweste.

Und sonst? Sonst kann jeder machen, was er will. Lesen, schreiben (wie gerade, ha ha), Musik hören, Sterne anschauen oder gar nichts. Claus bspw. liebt es, an Bord zu kochen, gerne auch bei Seegang (Anzahl der Gänge äquivalent zur Windstärke, so kommt es mir manchmal vor). Es gibt einen kardanisch aufgehängten Herd mit Backofen, der zumindest die Rollbewegungen des Schiffs ausgleicht. Da werden oft richtige Menüs darauf gezaubert. Dazu gibt es Rotwein, guten Jazz und danach – je nach Müdigkeitslevel und im Hafen, einen Film auf dem MacBook (nein, noch zahlt uns Apple nichts). Seit neuestem hat es auch einen Bord-Grill. Das Teil ist so genial, dass wir demnächst vielleicht was extra dazu sagen.

Auch wenn sich die Tage ähneln, hat das nichts mit Routine zu tun. Routine ist das tägliche Zähneputzen, weil es dafür kein Nachdenken und erst Recht keinen Plan braucht. Für die wesentlichen Dinge auf einem Segeltörn hat man immer einen Plan, auch wenn dieser nicht zwangsläufig eins zu eins umgesetzt wird.

Ein bisschen Philosophie zum Schluss: das mit der Freiheit der Meere ist ein netter Gedanke, aber bei genauem Hinsehen gibt es kaum einen Ort größerer Verlorenheit als ein kleines Segelboot auf  großer Fahrt. Ein paar Quadratmeter Planken und dann viele, viele Seemeilen nichts mehr. Theoretisch kann man zwar noch besser sehen, wer zum Abendessen kommt, als in Ostfriesland. Aber es kommt keiner! So gesehen ist Segeln ein bisschen auch ein Akt mutwilliger Selbst-Isolation. Man erfährt selten so konkret die Distanz zwischen sich und dem Rest der Welt, wie wenn man auf hoher See einmal rundum schaut.

Aber wir wissen doch alle: der Mensch ist hin und wieder ein merkwürdiges Wesen. Im speziellen Fall des Segelns lässt er sich freudvoll einengen und zeitweilig vom Rest der Welt abschneiden, um dann von Freiheit und Unabhängigkeit zu schwadronieren. Trotzdem ist was Wahres dran. Entscheidend ist, dass diese Widrigkeiten selbst gewählt und vor allem nicht menschengemacht sind. Der schlimmste Regen ist auszuhalten, solange er nicht aus Nachbars Gartenschlauch kommt.

Und sind nicht die wahren Freiheiten die im Kopf? Du hörst den Wind, du siehst – egal wohin du schaust – immer bis zum Horizont, du spürst die Welle und jede Bewegung des Schiffs unter dir. Immer wieder und immer wieder, und es wird nie Routine.

Fuengirolas zombiefreie Zonen: Speakeasy Jazz Club & Cocktails

Fuengirola gehört zusammen mit Torremolinos zu den Touristenhochburgen im Dunstkreis Malagas, wobei der Begriff Tourist weiter zu fassen ist, weil viele der Nichtspanier, sogenannte Residentes, hier ansässig sind. Die lokale Wirtschaft hat sich diesem Umstand völlig hingegeben.

Der Kopfsteg des Hafens, den sich die hiesigen Fischer mit den Pleasureboats teilen, ist durchgängig mit Lokalen besiedelt. Da finden sich heimatgeschwängerte Kneipen wie das Ku-Damm neben dem Schnitzelhaus, aber auch die Briten haben ihre Häuser in Form des Goulash House und die Karma Irish Bar. Liebhaber des noch Exotischeren haben die Wahl zwischen der Caribbean Mermaid und dem Royal Marrakesh. Die Wirte sehen überall weder karibisch noch orientalisch aus, sondern eher handfest.

In vielen dieser Etablissements sitzen morgens ab 10 Uhr ältere Paare. Der männliche Part gerne nur mit Shorts bekleidet und noch lieber mit Blick auf den ersten Aufheller in Form von Bier oder Brandy. Das ist der Prototyp. Die Variationen sind groß. Diese Auftritte haben etwas zombiehaftes, und ohne jemanden wirklich beleidigen zu wollen hat sich bei uns auf dem Schiff dieser Begriff schnell fest etabliert. Um Missverständnissen vorzubeugen: Fuengirola besteht keineswegs nur aus Zombies, aber die Dichte nimmt auf den letzten 500 Metern Richtung Meer dramatisch zu.  Stellt sich die Frage: warum? – wir? – hier?

Der Hafen ist bewacht, sicher und per Bahn direkt an den Flughafen Malaga angebunden, der uns als Absprung für den kurzen Deutschlandurlaub dient. Das war das Auswahlkriterium, und damit leben wir jetzt. Und gar nicht schlecht, denn – wie auch der erfahrene Reisende weiß – in jeder Krise liegt eine Chance.

Es gibt zombiefreie Zonen in Fuengirola, man muss sie nur finden wollen. Und fairerweise muss man differenzieren: in jedem touristisch ausgebeuteten Ort definieren die Einheimischen IHRE Bereiche. Es gibt selbst auf Mallorca viele Ecken, wohin sich kaum ein Fremder verirrt. So auch in Fuengirola. Die echte Herausforderung aber ist, solche Stellen da zu finden, wo man sie nicht erwartet. Des Rätsels Lösung? Gehe dorthin, wo der gute Geschmack ist. Gehe hin, wo die Menschen Jazz hören.

Unweit des Hafens in einem Einkaufsviertel mixt im Souterrain eines unscheinbaren Gebäudes Elias Bentolila Edery die wohl besten Cocktails an der Costa del Sol. In Anlehnung an die Zeiten der amerikanischen Prohibition in den 1920ern nennt sich seine Bar „Speakeasy“ und ist auch von Einrichtung und Ambiente entsprechend orientiert. Elias, der im übrigen 2011 Mix Master Champion in Dublin war, schmeißt den Laden nur mit Hilfe seiner Assistentin. Die Räume sind aber auch überschaubar, was den Vorteil hat, dass man nahezu von jedem Platz (es gibt Sofas) dem Meister bei seinen manchmal akrobatischen Künsten zusehen kann.

Die Cocktails – selbst die alkoholfreien –  sind köstlich, jeder auch optisch eine Sensation und preislich völlig auf dem Boden. Die Musik tut ein übriges, sich auf einer Wolke des Wohlgefühls wegtragen zu lassen. Jazz vom feinsten und mehrmals die Woche auch live. Bei unserem Besuch spielten drei lokale Musiker Jazzstandards, und es war wunderbar, eine circa achtzigjährige Dame zu beobachten, die schon beim Betreten der Bar mit ihren beiden mindestens ebenso alten Begleitern in einen Tanzschritt verfiel und auch weiterhin enthusiastisch der Musik ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte.

 

 

Gourmet-Segeln – oder Segler mit Zeit haben immer guten Wind

Freunde von uns, Anne und Bruce, leben in Australien und segeln auch gerade mit ihrem Katamaran im nördlichen Great Barrier Reef. In einer der letzten E-Mails fragte Anne:

„Habt ihr auch ein Sturmsegel? Geht ihr raus, wenn es ueber 30 Knoten Wind hat? Ich bin ja kein so mutiger Segler. Schnell segeln – also gestern waren es 11 Knoten (kommt selten vor) – ist fuer mich ok, nur mag ich es nicht, wenn die Wellen zu hoch werden (ueber 1.5-2 m ist fuer mich nichts mehr). Dann bekomme ich Angst. Wir segeln also normalerweise nur, wenn es bis 25 Knoten Wind hat.“

Anne, wir sehen das auch so. Starkwind, Sturm und rauer See versuchen wir aus dem Weg zu gehen. Gerade hatten wir eine Phase von stärkerem Wind (Bild 1). In dieser Zeit lagen wir im sicheren Hafen von Almeria und haben spannende Ausflüge ins Hinterland gemacht.

Im Alboranmeer, unsere aktuelle Position, gibt es fast ausschließlich westliche oder östliche Winde (Bild 2). Als ich vor 20 Jahren zum ersten Mal hier segelte, fehlte mir diese Information und wir sind sehr mühsam gegenan gesegelt. Auf meinem alten Übersegler (Seekarte größeren Massstabs) ist ein Track dazu noch eingezeichnet (Bild 3). Zugegeben, dieser Ehrgeiz fehlt mir heute.

Ab morgen sind wieder Tage mit östlicher Windrichtung angesagt (Bild 4). Wir werden damit gemütlich und sanft durch die See gleiten und freuen uns darauf!

Meine Frau nennt mich ab und zu scherzhaft „Gourmet-Segler“. Mit diesem ironischem Kommentar kann ich aber gut leben und empfinde diese Titulierung als Kompliment.

25 – 30 Knoten Wind (6 -7 Bft) von achtern kann eine schöne und rasante Fahrt bedeuten. Von vorne: NO THANKS!

Granada: die Alhambra in neuen Bildern

Starkwind lässt uns länger in Almeria verweilen. Zeit, das Hinterland Andalusiens zu erkunden. Granada ist voller Menschen, die die Alhambra besichtigen. Da tun sich ganz erstaunliche Bilder auf. Worte sind nicht nötig.